Das sind Frühwarnzeichen für Bauchspeicheldrüsenkrebs

Pankreaskrebs wird meist zu spät entdeckt. Forscher suchen deshalb nach Markern – und sind nun fündig geworden. Hoher Blutzucker bei gleichzeitigem Gewichtsverlust kann den Krebs ankündigen.

Erstmals erschienen in der NZZ am Sonntag am 26. September 2020.

 

Vor kurzem erlag die Frauenrechtlerin und Richterin am US-Supreme Court Ruth Bader Ginsburg 87-jährig einem Leiden, das sie eigentlich schon überwunden hatte: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dieser Krebs wurde bei ihr erstmals 2009 während einer Routineuntersuchung gefunden. Die zufällige Entdeckung erlaubte es den Ärzten, den Tumor zu entfernen, bevor er Metastasen in anderen Organen bilden konnte. Bader Ginsburg überlebte.

Für die grosse Mehrheit der Betroffenen ist dies nicht so. In bis zu 85 Prozent der Fälle wird ein bösartiger Tumor der Bauchspeicheldrüse, auch Pankreaskarzinom genannt, zu spät entdeckt. Er hat dann bereits Metastasen, etwa in der Leber, gebildet. Eine Operation, und damit eine Heilung, ist nicht mehr möglich. Als Behandlungsoption bleibt eine Chemotherapie, die die verbleibende Lebenszeit nur leicht verlängert. So sterben in der Schweiz jährlich etwa 1260 Menschen an dieser Krebsart.

Ein Grund, weshalb die Krankheit oft zu spät entdeckt wird, ist: Sie verursacht kaum oder zu spät typische Symptome, zu denen etwa die Gelbsucht zählt. «Früher ging man davon aus, dass Pankreaskrebs unheimlich schnell wächst und er deswegen erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt wird», sagt der Gastroenterologe Suresh Chari vom MD Anderson Cancer Center der Universität Texas. Heute aber wisse man, dass der Krebs sich über zwei bis drei Jahre entwickelt und dass sich in dieser Zeit in einigen Patienten etwas merkbar verändert.

Drei Jahre vor Diagnose

Die Forschung konzentriert sich daher derzeit darauf, nach Markern und Anzeichen für eine Früherkennung von Pankreaskrebs zu suchen. Ein solches Anzeichen ist neu auftretender Diabetes bei Älteren, besonders wenn er mit Gewichtsverlust einhergeht. Dies hat damit zu tun, dass der Tumor die Produktion von Insulin beeinflusst, welches den Blutzuckerspiegel kontrolliert.Den Zusammenhang untersuchten Chari und sein Team genauer: In Studien aus den Jahren 2018 und 2019 werteten sie Gesundheitsdaten von 219 Patienten aus, die zwischen 2000 und 2015 mit Pankreaskrebs diagnostiziert wurden. Sie stellten fest: Bereits 36 bis 30 Monate vor der Diagnose begann bei den Krebspatienten der Blutzuckerspiegel anzusteigen - ein Zeichen für Diabetes.

Gleichzeitig begannen die Patienten etwa 18 Monate vor der Diagnose an Gewicht zu verlieren. Eine ungewöhnliche Kombination für «normalen» Typ-2-Diabetes, der üblicherweise mit Übergewicht einhergeht. «Hausärzte können diese ungewöhnliche Verbindung zwischen Gewichtsverlust und einem neu einsetzenden Diabetes oft übersehen», sagt Chari.

Dass neu einsetzender Diabetes in Kombination mit einem Gewichtsverlust ein Warnzeichen für Bauchspeicheldrüsenkrebs sein kann, dafür will Kaspar Z’graggen, Spezialist für Viszeralchirurgie an der Klinik Beau-Site in Bern und Vizepräsident der Schweizerischen Pankreas-Stiftung, ein Bewusstsein schaffen. Denn der Krebs gehört zwar zu den tödlichsten Krebsarten - es ist die siebthäufigste Ursache für einen Krebstod weltweit -, er ist aber dennoch äusserst selten: nur 8 bis 12 von 100 000 Menschen pro Jahr sind betroffen. «Wenn ein Hausarzt zwanzig Jahre lang praktiziert, dann sieht er maximal 1 bis 2 Fälle von Pankreaskrebs», sagt Z’graggen. «Da ist es verständlich, dass Hausärzte die Symptomatik nicht immer präsent haben.»

Zahlen zum Bauchspeicheldrüsenkrebs

  • 7,1% aller Krebstodesfälle bei Frauen gehen auf das Konto von Pankreaskrebs. Bei Männern sind es 5,3 Prozent.
  • Zwischen 1990 und 2017 hat sich die Fallzahl um das 2,3fache erhöht.
  • Ein Fünftel der Fälle wird hauptsächlich durch Rauchen verursacht.
  • 5 - 10% aller Pankreaskrebsfälle gehen auf erbliche Risikofaktoren zurück.

Für eine systematische Früherkennung könnte ein Screening von Risikogruppen mit hohem Blutzucker in Betracht kommen. Allerdings entwickeln nur 1 Prozent der neu mit Diabetes Diagnostizierten über fünfzig Jahren in den folgenden drei Jahren Bauchspeicheldrüsenkrebs. Betrachtet man von diesen Patienten nur jene, die über siebzig Jahre alt sind und Gewicht verloren haben, so lässt sich eine Gruppe mit höherem Risiko definieren. In ihr entwickeln etwa 4 Prozent ein Pankreaskarzinom.

Die Herausforderung besteht also darin, in dieser Risikogruppe einen «normalen» Typ-2-Diabetes von jenem zu unterscheiden, der durch Pankreaskrebs ausgelöst wird. Um die Früherkennung besser zu untersuchen, wird Chari eine grosse klinische Studie durchführen.

Fortschritte bei Operation

Eine frühe Diagnose erhöht indes nicht nur die Chancen auf eine Operation, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, diese zu überleben. «Vor etwa dreissig Jahren starb noch jeder dritte bis vierte Patient an den Folgen einer Operation», sagt Chirurg Z’graggen. Oft, weil Verdauungssäfte durch die Nähte in den Bauchraum leckten und dort begannen etwa Blutgefässe zu beschädigen. «Die Patienten sind dann im Schlaf verblutet.»

Heute würden diese Operationen an spezialisierten Zentren durchgeführt, mit Teams aus Onkologen, Chirurgen, Internisten, Radiologen, Pflegern und Ernährungsberatern die auf die Erkennung möglicher Komplikationen spezialisiert seien. So überleben mittlerweile etwa 95 bis 98 Prozent den chirurgischen Eingriff.

Trotz allen Fortschritten gibt es dennoch einen Wermutstropfen, den auch Ruth Bader Ginsburg zu spüren bekam: Selbst wenn die Operation erfolgreich verläuft, kommt der Krebs in den allermeisten Fällen irgendwann wieder. Die Fünf-Jahre-Überlebensrate beträgt nur zwischen 3 und 15 Prozent. Gut zehn Jahre nach der erfolgreichen Entfernung des Tumors bei Bader Ginsburg kehrte er im Juli dieses Jahres zurück. Diesmal hatte er bereits die Leber befallen.